Kilmerstuten als Index für Demographie in Deutschland

Foto: Eine Gruppe mit Kilmerstuten auf der Leiter in unserem Restaurant

Vor wenigen Tagen ist das neue Wirtschaftsmagazin vom Verbund Oldenburger Münsterland erschienen. Das über 250-Seiten Magazin trägt den Titel „Argumente“ und zeigt zahlreiche Berichte, Meinungen und Porträts. Die sechste Ausgabe (Jahresheft, Verkaufspreis 7,50 €] ist eine illustriertes Kompendium der regionalen Wirtschaft und dient als Orientierung und zur Information. Der Geschäftsführer vom Verbund, Rudi Hockmann, hat mich vor einigen Monaten darum gebeten, für die 2013er Ausgabe einen  Beitrag zum Thema „Kilmerstuten“ zu schreiben. Der Beitrag sollte über 10.000 Zeichen sein – das war eine Vorgabe bezüglich der Länge. Ich musste erst einmal „googlen“ wie viele Seiten das sind. Für die regionale Spezialität „Kilmerstuten“ habe ich den Titel: „Kilmerstuten als Index für Demographie in Deutschland“ gewählt. Darin beschreibe ich die Geschichte einer Familie nach der Geburt eines Kindes und den Brauchtum des Kilmerstuten. Die reale Abhandlung in der Form passiert oft in der Region. Das habe ich versucht dem Leser zu vermitteln. Wer den Text lesen möchte, kann hier kicken… Kilmerstuten – der Index für Demografie in Deutschland

Kerstin und Gregor freuen sich auf die Geburt ihres dritten Kindes. Das junge Paar hat der kleinen Tochter den Namen Maria gegeben – eine glückliche Familie. Die Mutter mit dem Neugeborenen liegt noch im Krankenhaus. Vater Gregor verabschiedet sich bei den beiden um rechtzeitig wieder zu Hause zu sein. Die Nachbarn, Freunde und Arbeitskollegen haben sich angemeldet um zum jungen Erdenbürger herzliche Glückwünsche zu überbringen. Als Gregor in seine Siedlung einbiegt, sieht er schon von weitem das geschmückte Haus. Im Garten steht ein großer Storch, der von handwerklich geschickten Nachbarn gebastelt wurde. Im Schnabel eine kleine Puppe mit der Aufschrift. „Maria“. Gregor schossen die Tränen in die Augen – er war sichtlich gerührt, als er die zahlreichen Glückwünsche der Nachbarn und Freunde entgegen nahm. Die lange Wäscheleine mit Windeln, Kinderkleidung und einigen Spielsachen reichten bis zum Dachgiebel. Das ganze Gebäude wurde mit einem großes Strahler beleuchtet, damit jeder erkennen konnte: Hier ist ein Kind geboren. Aus den Boxen ertönte der Song von Santana: „Maria, Maria!“
Alle freuten sich mit der jungen Familie. Der Grill wurde angezündet und die gekühlten Getränke verteilt. Dann kam die Frage, auf die Gregor schon erwartungsvoll gespannt war: „Wann sollen wir die den Kilmerstuten bringen? Die Arbeitskollegen erinnern sich noch sehr gut an den letzten Kilmerstuten, der immer noch für Gesprächsstoff in der Firma sorgt.

Gregor und Kerstin hatten sich schon eine gemeinsame Antwort überlegt: „Wir freuen uns auf den Kilmerstuten von Euch. Wir werden dieses Mal eine große „Kilmerstuten-Party“ mit allen Gruppen zusammen machen! Firma, Nachbarn, Fußballverein und die Gruppe der Cheerleader kommen alle zu einer Mega-Kilmerstuten Party!“ Das hatte Kerstin und Gregor auch bei den beiden anderen Kindern so gemacht. Ein Termin wurde schnell gefunden und wie es beim Kilmerstuten traditionell üblich wurde die großen Rosinenbrote bei den örtlichen Bäckereien bestellt.

Endlich war nun der besagte Kilmerstuten-Tag. Im ganzen Dorf liefen an diesem Abend viele Leitern mit dem großen Broten, die alle das gleiche Ziel hatten: Kerstin und Gregor. Wie auf einer Sternfahrt, kamen alle lustigen und fröhlichen Gruppen zu der großen Fete. Die Fußballer trafen sich vorab in der Gaststätte „Unter der Linde“ um ihren Kilmerstuten entsprechend zu schmücken. Auf der 2 Meter langen Leiter lag das Rosinenbrot. Mit Zuckerguss war in großen Buchstaben „Maria“ auf das Brot geschrieben. Die Fußballer mit ihren Frauen waren alle in schwarzen Hosen und weißem Hemd gekommen. Die Männer hatten sogar schwarze Zylinder dabei, für die Frauen wurden kleine Häubchen aus Servietten gebastelt. Für alle Teilnehmer lagen feine Fliegen bereit, die natürlich rot-weiß war. „Bei der Geburt eines Mädchens ist die Farbe rot im Vordergrund, bei einem Jungen wird alles in hellblau geschmückt“, erklärt der Torwart Sebastian seiner Freundin, die zum ersten Mal an einem Kilmerstuten dabei ist. An der Leiter wurden einige bunte Luftballons gebunden und mit den liebevollen Schleifchen dazwischen ergab das ein sehr farbenfrohes und stimmiges Gesamtbild. Viele fleißige Hände schmückten die Leiter mit dem Kilmerstuten weiter. Die Leiter wurde zwischen zwei Stühlen geklemmt, denn es müssen noch einige Utensilien für das kleine Kind angebunden werden. Einige Strampel, Windel und Badezusätze aus dem Drogeriemarkt wurden dem Gesamtwerk zugefügt. „Jetzt fehlt nur noch das Paket Kaffee und die Butter!“, ruft Trainer Jörg in die Runde. Die Butter und ein Paket Kaffee muss die jeweilige Gruppe mit dem Kilmerstuten mitbringen.
Bevor es nun los geht und die Leiter durchs Dorf getragen wird, wurden noch schnell die Liederhefte verteilt. „Lasst uns mal ein Lied zu Probe singen! Auf der 3. Seite das Lied unten…1…2…3 und: Hoch auf den gelben Wagen…!“ Der Fußballclub zeigte, dass der 2. Tabellenplatz auch etwas mit gut Singen und Gemeinschaft zu tun hat. Die 12 Lieder aus dem Heft wurden eingesteckt. Jeder Teilnehmer bekam noch einen kleinen „Minipokal“ umgehängt, damit die flüssige Wegzerrung auch entsprechend zum Mund geführt werden kann. Nach fast einer Stunde war die Kilmerstutentruppe fertig für den Gang durchs Dorf.

Draußen vor dem Lokal wurde lauthals gesungen und am Ende des Zuges trugen einige eine leuchtend rote Warnweste, damit die Autofahrer rechtzeitig gewarnt werden. Die erste Einkehr war nur wenige hundert Meter neben dem Startpunkt. Der Gastwirt hatte schon von der Kilmerstuten-Party gehört und gab bereitwillig einen Schnaps aus. Es wurde viel gesungen. Die ersten Bilder wurden gemacht. „Ich poste mal eins bei Facebook!“, freute sich Claus. Es dauerte nicht sehr lange, da kam eine erste Antwort von den Damen der Cheerleader. Sie waren zeitgleich im Ort auf Tour und hatten scheinbar auch schon viel Spaß. Die Fußballer zog es weiter zum nächsten Haus. Werner klingelte an einem für ihn wildfremden Haus „Sind wir hier richtig mit dem Kilmerstuten?“, fragte er dem sichtlich verwunderten Rentner. Dieser erkannte aber schnell den Spaß und holte etwas gegen die trockene Kehle. Als Dank wurde das Lied von der 8.Seite in allen Strophen gesungen.

Die Truppe zog weiter. Der Kilmerstuten thronte auf der Leiter. Auch die vielen Schwankungen und „fast Abstürze“ konnten dem langen Brot nichts anhaben. „Lasst und mal beim Fleischer Freese reinschauen, ob die auch Schinken und Käse zum Gregor gebracht haben!“, stellte Torwart Sebastian unter dem Gejohle der anderen fest. Sie standen gerade vor dem Geschäft. Der Lärm der Truppe erübrigte ein Klingeln an der Haustür. „Habt ihr genug Knochenschinken und Käse für Gregor und Kerstin geschnitten? wurde sehr fröhlich gefragt. Die Eltern müssen beim Kilmerstuten immer für die Auflage des Brotes sorgen. Im Oldenburger Münsterland wird dazu roher Schinken und Käse gereicht. Die Mischung aus Schinken und Käse macht den Kilmerstuten aus. Das süße Brot mit dem Zuckerguss, die großen Rosinen im Brot schmecken einfach richtig gut zu dem Schinken.
Ludger Freese und seine Frau Carola öffnen die Tür und reichten der durstigen Truppe ein frisch gezapftes Bierchen. „Wie vielen Scheiben Schinken wird eigentlich je Person gerechnet?“, fragt  Trainer Jörg dem fachkundigen Ehepaar Freese. „Wir rechnen immer sechs Scheiben Schinken und drei Scheiben Käse für den Kilmerstuten pro Person!“, antwortet Carola Freese. Die Mannschaft war etwas in Eile und verabschiedete sich mit einem passenden Lied: „Alles hat ein Ende nur die Wurst hat zwei…!“

Der „Kilmerstuten-Sternengang“ nahn langsam im kleinen Dorf Fahrt auf. Überall hört man Gesang und fröhlich Stimmen. Beim Besuch im Gasthaus „Hermes“ traffen gleich drei „Kilmerstuten-Gruppen“ gleichzeitig ein! Die Damen der Cheerleader-Gruppe, die Fußballer und die Arbeitskollegen zogen mit den riesigen Kilmerstuten in die Gaststube ein. Es wurde laut und durch die unschiedlichen Gesänge war kaum noch das eigene Wort zu verstehen. Alle freuten sich über die Geburt des Kindes und feierten mit. Am Tisch saßen einige Auswärtige aus Hamburg, die mit der Tradition des „Kilmerstuten“ nichts anfangen konten. Claudia von den Cheerleadern erklärte es in ihren Worten: „Das kommt von ganz früher her. Klimer heißt übersetzt Kindtaufe, das Wort gibt es heute aber nicht mehr! Nachbarn und Verwandte brachten früher den Eltern immer einen Kilmerstuten, Brot, Butter, Kaffee und andere Lebensmittel um die Mutter zu entlasten und Unterstützung zu bekunden. Heute ziehen wir zu Gregor und Kerstin um mit Ihnen die Geburt der kleinen Maria zu feiern. Der Kilmerstuten ist 1,50 Meter lang und dazu gibt es Schinken, Käse und Kaffee!“ Die Hamburger freuten sich über die Aufklärung von Claudia. Gemeinsam wurde auf die Zukunft und auf viele weitere Kilmerstuten angestoßen.

Im Hintergrund der Gaststätte lief eine Talkshow im Fernsehen. Die meisten Gäste im Lokal bekamen von der Talkrunde kaum etwas mit. Die üblichen Teilnehmer saßen in der Runde bei Günter Jauch. Thema war die Demographie in Deutschland. Als die singenden Gruppen die Gastwirtschaft verlassen hatten, kehrte wieder Ruhe ein. Die Sendung war wieder zu verstehen. „Durch die höhere Lebenserwartung der Bevölkerung und gleichzeitig rückläufiger Geburtenrate steigt der Anteil älterer Menschen gegenüber dem Anteil Jüngerer!“, erklärte ein Politiker. Als Beispiel führte der Bundestagsabgeordnete an: „Das Oldenburger Münsterland um Cloppenburg und Vechta – hier gibt’s satte Wälder, vogelreiche Moorgebiete, köstliche Spargel- und Kohlgerichte – und die höchste Geburtenrate Deutschlands!“ Die Sendung wurde von den Hamburger Gästen aufmerksam verfolgt. Draußen hörte man noch den Gesang der Kilmerstuten-Gruppe. Einer der Hamburger brachte den Abend auf den Punkt: „Man könnte den Kilmerstuten gut als Index für die Demographie nehmen! Je mehr Kilmerstuten es gibt, umso weniger Demographie-Probleme würde es in Deutschland geben!“

Die zahlreichen Kilmerstuten-Gruppen traffen bei Gregor und Kerstin ein. Die langen Brote wurden mit großem Aufwand ins Haus getragen und dort zerteilt. Die Tische waren gedeckt, der Kaffee war gekocht. Auf der langen Tischtafel im Garten standen die wunderschönen Schinken- und Käseplatten, verziert mit Butterröschen und kleinen Gurken. Die Gruppen setzten sich ganz ungezwungen zusammen und genossen nach einem „anstrengen Marsch“ die Spezialität aus dem Oldenburger Münsterland. Der starke Kaffee tat allen gut. Zahlreiche Bilder werden gemacht. die für die Vereinshomepage und für die Chronik bestimmt sind. Aber auch für dem Wettbewerb auf www.kilmerstuten.de wurden einige schöne Bilder ausgewählt und gleich verschickt. Das junge Elternpaar war total glücklich über diesen schönen Kilmstuten-Abend.

Im Verlauf des Abends wurde noch viele Geschichten um den Kilmestuten erzählt und ausgetauscht. Fast jeder in der geselligen Runde konnte etwas dazu beitragen. „Für mich beginnt der Stoppelmarkt immer erst,  wenn ich einen Kilmerstuten bei
Ludger Fischer esse!“, erzählt Michael seinem Tischnachbarn. Ulli, der nur noch schwer zu verstehen war sagt: „Ich war auf der `Grünen Woche` in Berlin und freue mich immer auf etwas aus der Region: Kilmerstuten in Berlin…dafür lasse ich jede Currywurst stehen!“ Georg und Irene hatten zurzeit ihre Tochter in Frankreich: „Als wir die Gasteltern besucht haben, haben wir nach einem idealem Geschenk aus dem Oldenburger Münsterland Ausschau gehalten. Da habe ich bei unserem Bäcker und Fleischer gesehen, dass es eine tolle Dose aus Metall gibt: „Kilmerstuten to go!“ Von diesem Dosen mit dem regionalen Inhalt haben wir den Franzosen eine große Freude bereitet!“

Der Kilmerstuten-Abend im Garten bei Gregor und Kerstin war noch lange nicht vorüber. Fast die ganze Nacht wurde noch Kilmerstuten gegessen. Immer wieder hatte jemand eine Schnitte dabei, mal mit, mal ohne Schinken – wichtig war nur: Kilmerstuten.
Die Fußballmannschaft war die letzte Gruppe am Abend. Sie haben noch mit der Kilmerstutenleiter einen Tanz gemacht, der jetzt bei You Tube als Video zu sehen ist. Das Heimspiel am Tag nach dem Kilmerstuten wurde dafür erwartungsgemäß verloren. Trainer Jörg augenzwinkernd: „Wer für unseren Nachwuchs ein Heimspiel verliert, der hat eigentlich gewonnen! Wir werden aber wieder siegen und wie ich meine Mannschaft kenne, wird der eine oder andere Kilmerstuten zwangsläufig kommen!“

Autor: Ludger Freese

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