Wie billig darf eine Bratwurst sein?

Einkauf und Verköstigung einer extrem billigen Bratwurst – meine Gedanken dazu!

Am Wochenende wurde in einer Sonntagszeitung „Grillbratwurst oder Grillkrakauer“ für 1kg / 2,48 – 3,31€ angeboten (so stand es in der Anzeige). Der Preis ist für mein Wurstverständnis nicht machbar. Ich habe mir die Frage gestellt, was ist in einer solchen Wurst noch an echten Lebensmitteln drin ist?

Das Angebot habe ich daraufhin auf Facebook vorgestellt. Natürlich gingen die Meinungen sehr stark in alles Richtungen. Eine Wurst kann man unmöglich so billig herstellen! Ich möchte jetzt keine Kalkulation aufbauen, aber für eine Schweinehälfte zahle ich 2,24 €/kg (inkl. Steuer) Dazu kommen etwa 20% Knochen und Schwarten, die ich nicht verwenden kann. Also liege ich bei 2,68€ /kg. Ich habe jetzt noch keine Personalkosten, Därme (sind sehr teuer), Gewürze, Verpackung, Raum- u. Maschinenkosten, Verwaltung, Logistik, Verdienst etc. gerechnet. Ich war neugierig, wie die Wurst für 2,48 € schmeckt.

Ich habe mich ins Auto gesetzt und bin zu diesem Supermarkt gefahren. Im Geschäft war es sehr voll. An der riesigen Fleischtheke war eine Warteschlange von etwa 30 Kunden. Die Wurst lag im SB-Kühlbereich, so dass ich sie so mitnehmen konnte. Etwas über 1,70€ habe ich für 5 Stück der Rostbratwurst bezahlt (das Angebot galt erst ab Montag). Ich hatte ein sehr komisches Gefühl, so eine Wurst zu kaufen, weil ich in meiner Berufskleidung im Markt war und auch, weil ich die Wurst probieren möchte. Erkannt hat mich keiner – glaube ich jedenfalls.


Von der Verpackung her wurde alles geboten, was einen Kunden begeistern könnte. Auf der Rückseite gab es sehr ausführliche Nährwertangaben je 100g, je 1 Portion und in Prozent. Auf der Zutatenliste fand man alle Angaben, E-Nummern gibt es keine und Glutamate wurden nicht verwendet.  Auch Das „QS-Prüfsiegel“ findet Verwendung, und ein „ATC-Logo“ mit einem QR-Code. Den QR-Code habe ich angewählt. Sekundenschnell konnte ich folgendes erkennen: Die Schweine stammen aus verschiedenen Ländern wie Holland und Belgien. Geschlachtet wurden sie in Rheda-Wiedenbrück (Firmensitz von Tönnies) und verarbeitet wurde alles in Zerbst (Sachsen-Anhalt, Mühlengruppe). Auch die Teilstücke vom Schwein wurden für mich erklärt, was in die Wurst kommt: Nacken, Rücken, Schinken und die Lende (Filet). Aus Verbrauchersicht ist das ja sehr „beruhigend“, wenn sogar die teure Lende in die Billigwurst kommt. Leider lässt sich der QR-Cod mit dem Finger abwischen. Wenn man also das Päckchen einige Male in den Händen hielt, ist vom Code nichts mehr zu erkennen.

Zur Verköstigung. Ich musste zuerst an einen Kommentar denken, den jemand bei Facebook geschrieben hatte: „So etwas würde ich niemals meinem Körper antun…!“ Dieser Satz spukte bei mir noch im Kopf. Ich habe aber versucht, die Wurst sehr neutral zu prüfen, wie ich es als DLG-Prüfer kenne (war öfter als Gastprüfer dabei).

Als ich die Wurst ausgepackt habe, sah ich einen leichten Geleeansatz. Das entsteht, wenn man die Wurst in der Verpackung einer Pasteurisierung unterzieht. (erklärt auch das lange Haltbarkeitsdatum bis zum Mai 2019). Den Gelee habe ich abgewaschen. Geruch: Frisch, Kräuter, Zitrone…Brühwurst Charakter. Das waren meine ersten Eindrücke. Dann habe ich die Wurst der Länge nach aufgeschnitten. So hat meinen einen größeren Querschnitt und erkennt die Gewürze besser. Konsistenz: gut…fest…leicht gummiartig. Der Darm (eine essbare Hülle aus Rinderkollagen) löste sich leicht von der Wurst. Bratverhalten: Die Bräunung der Wurst war sehr gut, platzte leicht auf (habe in der Grillpfanne bei leichter Hitze gebraten). Vor dem Probieren habe ich die Rostbratwurst etwas ruhen lassen, damit sie etwas kühler wird und intensiver schmeckt. Eine extrem heiße Wurst löst im Mundraum keinen Geschmackssinn aus. Leider kamen kaum Geschmackssinne zum Einsatz. Sie schmeckte einfach nach nichts. Es fehlte Salz (obwohl 20g/kg verwendet wurden), Gewürze…einfach alles. So eine Wurst lässt sich nur mit viel Ketchup oder Senf essen. Mein Urteil wurde von meiner Köchin unterstützt, die vom Test nichts wusste und einfach nur „zufällig“ probiert hat. Sie hat die Wurst ausgespuckt. Zufällig war ein Gast im Restaurant, der im aktiven Berufsleben einen Imbissstand auf den Märkten hatte. Auch sein Geschmacksurteil war vernichtet: „So etwas hätte ich nie verkaufen können…!“  Probiert habe ich etwa eine halbe Bratwurst…fein in kleine Stück geschnitten. Ich habe versucht sehr neutral die Wurst zu testen. Ich glaube auch, dass mir das gelungen ist.

Jetzt kann man argumentieren: Warum probierst du so etwas? Ist doch nicht dein Qualitätsstandard! Es herrscht Marktwirtschaft in Deutschland…und jeder darf doch alles so billig verkaufen wie er möchte – oder? Ist eine handwerkliche hergestellte Wurst immer besser als Industrieware?  Egal…es gibt Kunden, die nicht mehr für eine Wurst ausgebeben können. Ab wann ist eine Bratwurst unseriös?  Ich verstehe gut, warum es immer mehr Vegetarier gibt! Warum lassen sich Wurstfabriken auf die (billigen) Vergaben der Discounter ein?

Meine persönlichen Antworten dazu:
Warum probierst du so etwas? Weil ich einfach wissen möchte, was hinter dem Geiz steckt! Wenn Kunden eine billige Wurst haben möchten, kann ich so viel sicherer argumentieren. Ich liebe gute Wurst und möchte deutlich machen, dass das Billigste eine Geschichte hinter der Wurst hat!

Ist doch nicht dein Qualitätsstandard! Ganz bestimmt nicht! Darum arbeite ich auch sehr viel mit Handwerksfleischern zusammen und schätze deren Produkte! Für meine Kunden möchte ich nur das Beste – das ist keine „Floskel“, sondern schon immer meine Entscheidung aus Leidenschaft!

Es herrscht Marktwirtschaft in Deutschland…und jeder darf doch alles so billig verkaufen wie er möchte – oder? Logisch! Jeder kann alles anbieten, solange Gesetze, Regeln, Qualität, Würde, Menschenrechte, Tierwohl, Ethik, Nachhaltigkeit und der sorgsame Umgang mit Energie eingehalten wird. (Energie: Ich kann einfach nicht verstehen, warum für eine einfache Bratwurst Lebensmittel durch halt Europa gefahren werden müssen, nur damit der Preis am Ende stimmt!!!!)

Ist eine handwerkliche hergestellte Wurst immer besser als Industrieware? Man kann hier nicht schwarz und weiß denken. Auch die Industrieware kann gut sein, und auch der Handwerkskollege kann Bockmist bauen. Wichtig ist mir die Leidenschaft und die Liebe zum Produkt! „Billig sein, ist ein Zeichen von Schwäche!“, das gehört zu meinen Lieblingszitaten. Das Handwerk ist für mich individueller, kreativer, ehrlicher, näher am Kunden, regionaler und schneller. Die Industrie macht die Menge, bedient die Discounter, steht unter Preisdruck, muss sehr hart kämpfen und geht gerne an die Qualitätsgrenzen!

Egal…es gibt Kunden, die nicht mehr für eine Wurst ausgebeben können. Das ist sicherlich richtig! Aber ist das der Weg zu mehr Gerechtigkeit, Gesundheit, Tierwohl und faire Arbeit? Sicherlich nicht. Wer sich nicht mehr leisten kann, sollte sich dann auch anders ernähren. Auch hier gibt es viel Möglichkeiten, sich sehr preiswert zu „pflegen“ Da sollte man aber auch ehrlich von der Verantwortlichen agieren. Es ist da noch ein langer Weg, der nur gemeinsam mit viel Transparenz uns Offenheit gegangen werden kann.

Ab wann ist eine Bratwurst unseriös? Für mich wird eine Wurst, ein Stück Fleisch oder überhaupt Lebensmitte unseriös, wenn dafür Menschen ausgebeutet werden, Tiere gequält werden und kein fairer Handel stattfindet. Wenn eine Wurst für 2,48€ / kg im Regal liegt, muss an irgendwelchen Stellschrauben gedreht werden. Ausbeutung der Arbeiter im Herstellungsprozess (Schlachtung, Zerlegung, Verpackung…) oder bei der Gewinnung von Fleisch (Tieranzahl in den Ställen, Mastgeschwindigkeit, Futter, Umweltschutz…)  Werden hier Faktoren leicht oder gravierend verändert, kommt es zu mehr Gewinn und das Produkt kann billiger angeboten werden. Dieser Weg ist langfristig gesehen nicht gut. Prälat Peter Kossen prangert das offen an!

Ich verstehe gut, warum es immer mehr Vegetarier gibt! Bilder von gequälten Tieren, Lebensmittelskandale und nicht richtig betäubten Tieren, schrecken zu Recht den Verbraucher immer wieder auf. Die Ursachen sind oft der enorme Preisdruck, der vom Handel aus entsteht. Das sich dann Menschen vom Fleisch abwenden, ist zu verstehen. Darum ist es so wichtig, dass alle Seiten fair und ehrlich miteinander umgehen und das Lebensmittel auch als „Mittel-zum Leben“ sehen.

Warum lassen sich Wurstfabriken auf die (billigen) Vergaben der Discounter ein? Der Wettbewerb bei den Produzenten ist ruinös. Bei den Jahresgesprächen in den Zentralen des Handels (Discounter und Supermärkte) geht es um ¼ Cent-Beträge. Hier ist man sehr schnell raus und hat möglicherweise eine ganze Produktionsstraße nicht ausgelastet. Die Finanzierung läuft, der Druck steigt…ein Kreislauf, aus dem man als Produzent kaum mehr rauskommt. Eigentlich müsste es der Antrieb eines jeden Herstellers sein, ein perfektes, gesundes und tolles Produkt herzustellen. Sehr oft klappt das auch, aber sobald der Preis den Takt angibt, müssen wieder Stellschrauben in der Qualität verändert werden. Ist ein Hersteller raus, stehen 5 andere in der Warteliste…

Ich schreibe diesen Beitrag auch, weil vielleicht Kunden denken, dass ein Fleischer, der für eine Bratwurst 12,00 € /kg verlangt, seine Waren überteuert anbietet. Das ist ganz sicher nicht der Fall, weil er durch die geringen Herstellungsmengen und den erhöhten Einkauf, sicherlich seinen Preis haben muss.
Ich schreibe diesen Beitrag auch, weil die Wertigkeit für ein Stück Lebensmittel immer mehr sinkt. Denkt man die Entwicklung zu Ende, werden durch die Billigpreise immer weiterer Druck aufgebaut, für die Tiere und für die Menschen. Der Beruf verliert an Attraktivität, es wird nicht mehr ausgebildet und die Einheiten (Schlachtungen, Produktion…) steigt in immer größeren Einheiten. Der Einzelhandel fällt komplett raus.

Um dem entgegen zu wirken, müssen wir bereit sein, billige Lebensmittel zu boykottieren. Wo klar ist, dass so ein Preis nicht der Realität entspricht, sollte man die Ware liegen lassen. Man sollte misstrauischer werden, wach bleiben und einen gesunden Menschenverstand bei Einkauf mitnehmen. Veränderungen brauchen lange – aber wir Kunden haben die Macht dazu!

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2 Reaktionen zu “Wie billig darf eine Bratwurst sein?”

  1. Henning Kluß

    Hallo Ludger,

    dein Bericht ist sehr gut. Auch die Beantwortung deiner selbstgestellten Fragen sind auch die Fragen, die ich mir auch selber stelle und so beantworten würde. Eine Wurst kann für den Preis nicht hergestellt werden. Und Lende/Filet wird da mit Sicherheit so nicht drin sein. Zu Mal selbst der Discounter Filet im Angebot nicht unter 6,00€/Kg verkauft! Da werden die üblichen Abschnitte vom Filet, die unweigerlich anfallen, wenn man ein Filet ladenfertig zurechtmacht, verarbeitet worden sein. In dem Fall unterstelle ich dem Produzenten einfach mal Verbrauchertäuschung! Und wenn man das Fleisch und die Wurst quer durch die EU fährt, sollten jedem Verbrauchen bewusst sein, dass das auch viel Kostet. Ich denke, die meisten Verbraucher tanken ihr Fahrzeug auch mit Benzin oder Diesel. Da wird de facto beim Personal, als bei dem Landwirt, Schlachter, Fleischer und Fernfahrer gespart! Auch in den Ställen wird es nicht so zu gehen, wie es sich der Verbraucher vorstellt und wünscht. Der Verbraucher muss einfach lernen und Verstehen, dass ich das eine, also Tierwohl, Nachhaltigkeit, Umweltschutz und vernünftige Bezahlung, nicht ohne das andere, mehr Geld für Lebensmittels auszugeben, bekommen kann.
    Es gibt natürlich die, wie von dir beschrieben Argument, dass einige Leute nicht so viel Geld haben und darauf achten müssen, wie und was sie Einkaufen. Aber dazu müssen sie nicht so billiges Zeug kaufen, sondern nur anders und bewusst essen/einkaufen. Es werde einfach zu viele Lebensmittel weggeworfen. Auch der Umgang mit dem zur Verfügung stehendem Geld ist da sicherlich zu überdenken. 1-2 Zigaretten, das ein oder andere Bier weniger helfen, den Geldbeutel zu entlasten. Auch bei den besser Verdienenden, die auch bestimmt teilweise zu der Billigware greifen (Geiz ist eben Geil), würde ich mir ein besserer und verantwortungsvollerer Umgang mit Lebensmitteln wünschen.

  2. Steffen Waechter

    Sehr toller Bereicht. Alle meine Fragen, die ich mir selbst gestellt habe, wurden beantwortet. Vielen Dank !

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