Ich schäme mich

Als Fleischermeister habe ich natürlich eine gewisse Berufsehre. Wenn dann aber kriminelle Geschäfte in meiner Branche als „normal“ geduldet werden, dann muss ich dazu auch einmal etwas schreiben dürfen. Der Misstand in meiner Region wird zunehmend zu einem „Pulverfass“ und betrifft die Arbeitnehmer der Branche: die osteuropäischen Mitarbeiter (Werksvertragsarbeiter) von Leihfirmen.
Das „Oldenburger Münsterland“ gilt als Boom-Region in Deutschland. Vollbeschäftigung, wirtschaftlich gesund und weitsichtige Unternehmer – das sind einige Schlagwörter, die immer gerne genannt werden. Die Schlachthöfe und die Landwirtschaft benötigen Hilfskräfte aus dem europäischen Ausland. Viele der Leiharbeiter in den Schlachthöfen leben und arbeiten unter menschenunwürdigen Bedingungen. Die unschöne Seite der Region… Die Ausbeutung der Menschen ist unerträglich geworden. Ihnen wird eine heile und schöne Welt in Deutschland vorgegaukelt und erleben Not, Verbitterung und kriminelle Energien. Ich schäme mich dafür, dass Konzerne und Scheinfirmen Menschen unter solchen Bedingungen zu uns locken und in der Fleischwirtschaft arbeiten lassen.
Es ist es üblich geworden, dass Löhne von 2,00 – 3,00 €/Std. gezahlt werden und für die „Wohnung“ (ein Bett im Großraum] von einmal 170.-€ gezahlt werden (wird vom Lohn einbehalten) Oft bleibt kaum Geld übrig oder es kommt sogar vor, dass nichts ausgezahlt wird, wenn die Akkordleistung nicht ausreichte.
Die Lokalzeitung berichtet oft über das Thema und öffnet dadurch dem Verbraucher die Augen.

Politik und Gewerkschaften können hier scheinbar nichts machen und versuchen mit kleinen Demos, Sonntagsreden und Bekundungen etwas Bewusstsein zu schaffen. Der Zoll ist zwar immer wieder mit Durchsuchungen dabei, aber so richtig ist die Wurzel noch nicht gefunden.   Das Bischöfliche Offizilat in Vechta hat einen echten „Kämpfer“ für die getäuschten Menschen gefunden. Prälat Peter Kossen setzt sich für die mittelosen Menschen ein. Peter Kossen: „Deutschland sei das „europäische Land mit dem größten Niedriglohnsektor“, Tendenz steigend.“ Ich schätze Peter Kossen sehr und habe auch schon mit Ihm über die Problematik gesprochen. „Die Diskussion über gute Arbeit und menschenwürdiges Leben gehört zum christlichen Kerngeschäft“, begründete er sein Engagement als Kirchenvertreter.

Ich glaube, dass hier eine gravierende Änderung her muss. Ob das schnell zu schaffen ist, weiß ich nicht. Wir können nur gemeinsam eine Trendwende schaffen. Dazu sollten 1. Mindestlöhne auch für Werksverträge gelten; 2. Sollten Kunden bewusster und kritischer Fleisch einkaufen. Durch die „Geiz-ist-geil“- Mentalität sind solche Machenschaften entstanden. 3. Sollten die Politik schnell und parteiübergreifend handeln und entsprechende Gesetze schaffen. 4. Der Zoll müsste schlagkräftiger werden. 5. Leerstehende Wohnungen dürften nicht überteuert und unseriös vermarktet werden 6. Der Kunde kann durch Kaufzurückhaltung Druck auf entsprechende Firmen aufbauen 7. Meine Kollegen sollten nicht mehr dort Fleisch einkaufen, wo wissentlich Mitarbeiter ausgebeutet werden (die Menschenwürde hört am Schlachthof auf!) 8. Leiharbeiterfirmen sollte ein wirtschaftlicher Riegel vorgeschoben werden, damit die Ausbeutung nicht staatlich gefördert wird. 9. Die Wertigkeit von Lebensmittel ist uns verloren gegangen. Das muss wieder vermittelt werden. (Schulen, Verbände, Aktionen…) 10. Die „Leiharbeiter“ sollten nicht abgesondert von unserer Gesellschaft leben, sondern Teil von uns werden. Nur so wird uns deren Leistung bewusst.

Mir ist bewusst, dass ich den einen oder andern aus meiner Region damit treffe. Aber wenn über Wochen meine Branche und mein Handwerk in den Schlagzeilen sind, muss ich reagieren. Ich werde von meinen Kunden gefragt, warum die Zustände in der Fleischbranche so sind. Was soll ich ihm sagen? „Du bist selber Schuld?“ Das wird er nicht verstehen. Darum liebe Verantwortlichen, zeigt euch mal wieder als Menschen mit Menschlichkeit, Werte und christlichem Gedanken.
Das ist meine Meinung zu dem Thema.

12 Reaktionen zu “Ich schäme mich”

  1. Dieter Haskamp

    Zitat: 8. Leiharbeiterfirmen sollte ein wirtschaftlicher Riegel vorgeschoben werden, damit die Ausbeutung nicht staatlich gefördert wird.

    Du sprichst mir aus der Seele. Ich habe eigentlich nichts gegen die Idee der Leiharbeit aber was mal für den Arbeitnehmer gedacht war, ist so sehr umgekrempelt worden das es nun nur noch für Unternehmen taugt. Das ist sehr schade.

  2. Nobby

    Ich stimme der Aussage von Herrn Haskamp. Aber die Praxis sieht anders aus bei den Verbrauchern: Wenn die Werks- u/o. Leiharbeiter vernünftig bezahlt werden, muß zwangsläufig das Flesich an der Theke teurer werden. Das werden die Endverbraucher m.E. nicht honorieren und akzeptieren. Die wollen mit ihrem Ego nur das Beste, das Billigste und noch aus unserer Region – am Besten noch umsonst! Fazit: Das geht nicht und steht im Widerspruch. Die Verbraucher bestimmen durch ihr Verhalten leider den Preis! Und das zu Lasten der handwerklichen Fleischer und unseren Bauern im Südoldenburger Münsterland!

  3. Nobby

    Sorry, habe natürlich den Verfasser des Blog mit seinem ausführlichem Bericht vergessen!

  4. Markus

    9. Die Wertigkeit von Lebensmittel ist uns verloren gegangen. Das muss wieder vermittelt werden.
    Das ist auch meine Meinung! Wer Fleisch essen möchte, soll auch einen vernünftigen Preis bezahlen. Das fängt schon bei der Massentierhaltung an und geht weiter bis zu den genannten Niedriglöhnen.
    Wenn der Fleischkonsum durch eine Preisanpassung geringer wird, hoffe ich, dass sich diese Massenproduktion vielleicht wieder normalisiert.
    Es muss nicht täglich Fleisch auf den Tisch, aber wenn dann Qualität!

  5. Peter westerhoff

    Lieber Ludger,
    ich stimme zu hundert Prozent mit dir überein.  Allerdings glaube ich,  auf die Politik oder eine Erstarkung des Zolls zu hoffen, könnte lange dauern und würde eher in einem Papier- und Verwaltungsmonster enden.  Auch den Kunden einfach so die Entscheidung zu überlassen wird schwer in meinen Augen, da er/sie keine Anhaltspunkte hat ausser evtl den Preis. Und niemand garantiert, das ein teureres Produkt wirklich auf bessere Arbeitsbedingungen schliessen lässt.

    einzige Möglichkeit in meinen Augen heisst Eigeninitiative. Ein Zusammenschluss der Produzenten, die sich wie z. B. Ludger Freese nicht mit den herrschenden Bedingungen abfinden möchten.
    Wenn es in einer ausreichend grossen Menge an Produzenten einen Konsens gibt, wie die Mindest-Arbeitsbedingungen auszusehen haben, könnten sich diese Betriebe auch gegenüber dem Wettbewerb abheben, durch ein gemeinsames Logo, das auch dem Kunden gegenüber den Mehrpreis rechtfertigt.  Was mit fair trade Kaffee funktioniert und was mit x bio labeln funktioniert, sollte auch in Bezug auf menschliche Arbeitsbedingungen funktionieren. Für die dann auch sicher der Verbraucher bereit ist, etwas mehr zu bezahlen. Gerade in einer so wirtschaftlich gesunden Region.
    Also neben ‘fair trade’ und ‘bio’ , sollte auf dem Produkt oder am Eingang des Geschäfts auch platz sein für ein ‘fair work’ Logo.

  6. Arthurs Tochter

    Danke für dieses klare Statement von einem Mitglied der Branche!

  7. kuni-r

    Hallo Ludger,

    ich habe mich sehr über diese Veröffentlichung gefreut, denn Leute, die die Wahrheit sagen und ehrlich sind, werden nicht nur in Deiner Branche schnell als Nestbeschmutzer verteufelt.

    Ich glaube, dass wir uns als Verbraucher in einer Spirale nach unten befinden, aus der wir nur rauskommen, wenn ein kompletter und radikaler Umdenkungsprozess stattfindet.

    Wir müssen weg von der Einschätzung, dass nur das Billigste zählt. Wir müssen unser “Gegenüber”, also auch unsere Geschäftspartner leben lassen. Mittlerweile kann ein großer Teil unserer Mitmenschen nicht mehr von der eigen Hände Arbeit leben. Der Handel muß immer billiger anbieten, die Wirtschaft kriegt immer weniger für die Waren, die Arbeitsplätze werden ins Ausland verlagert oder ausländische, billige Arbeitskräfte müssen herhalten.

    Leider kommt die Quittung für uns Verbraucher oft erst viel zu spät, nämlich erst dann, wenn wir unseren eigenen Arbeitsplatz verlieren. Schnell kommt dann der Betroffene und macht den “bösen” Arbeitgeber dafür verantwortlich, obwohl meist er selbst mit seinem Konsumverhalten dafür gesorgt hat.

    Klar, das passiert auch oft auf Grund von übertrieben großer Gewinnsucht der großen Konzerne, die die billigen Produktionskosten nicht an den Verbraucher und oft auch nicht an den Zwischenhandel weitergeben.

    Aber der Verbraucher will ein Rinderfiletstück für 99 Cent/100g, weil es könnte ja sein, dass der Metzger Geld zum Leben verdient, wenn er einen adäquaten Preis dafür verlangt – und das gönnen wir ihm keineswegs.

    Meine Vorgehensweise in der derzeitigen Situation:

    - Konsequenz – ich kaufe nur da, wo ich es für richtig halte. Gibt’s (in unserem Fall) bei meinem Metzger des Vertrauens kein Rinderfilet, weil ausgegangen, dann verzichte ich halt auf Rinderfilet. Ich muß nicht jeden Tag Fleisch haben, wenn aber dann will ich beste Qualität und die bezahle ich auch.

    - Vertrauen – ich vertraue dem Verkäufer bezüglich seines Angebots und seiner Arbeit
    - Bezahlung – ich bin gerne bereit, für gute Qualität, gute Leistung und rückverfolgbaren Warenfluss mehr Geld auszugeben.
    - Regionalunterstützung – ich kaufe möglichst nur Waren, von denen ich weiß, dass sie bei Lebensmitten aus der Region kommen, oder bei anderen Produkten in Deutschland, zumindest in Europa produziert wurden.

    Ich habe allerdings ein elefantöses Gedächtnis, wenn mein Vertrauen enttäuscht wurde, oder wenn das Preis-Leistungsverhältnis eklatant verletzt ist. Solche Läden meide ich wie die Pest.

    Wenn Verkäufer ebenfalls Konsequenz in der Bezalhung von Mitarbeitern, in der Qualität und im Service bieten und endlich mal anfangen würden, NICHT über den Preis zu verkaufen, bleibt mir noch ein Quäntchen Hoffnung, dass das allgemeine Verbraucherverhalten ein wenig in positive Richtung beeinflusst werden könnte. Auf die Politik und auf die Lobbyisten der Industrie sollten wir keine Sekunde Zeit verschwenden, meine ich.

  8. peggy sue veletas

    Man muss nicht unbedingt einer christlichen oder sonstigen Religionsgemeinschaft angehören, um Ihre Meinung und Wertvorstellungen zu diesem Thema voll und ganz zu teilen. Für mich stellt sich schon länger die Frage, woran ich denn einen entsprechenden Fleischer mit (regionalen) guten und fair produzierten Produkten erkennen kann. Ergebnis: inzwischen bin ich fast schon Vegetarierin. Vielleicht sollten sich all diejenigen, die noch soviel Berufsehre wie Sie vertreten sich in einem Verband zusammenschließen und die Mitgliedsbetriebe für den Verbraucher kenntlich machen.

  9. Ludger Burhorst

    Hallo Ludger, deinen Beitrag finde ich bemerkenswert. Es sind, wie du richtig sagst, “kriminelle Geschäfte”, deswegen ist hier die Politk gefordert, neue und schärfere Gesetze zu erlassen. Die Rahmenbedingungen des Marktes müssen hier neu gestaltet werden, d.h. es muss der Ausbeutung von Menschen ein Riegel vorgeschoben werden. Dem Verbraucher kann man keinen Vorwurf machen, ebenso wenig wie dem Werklohnarbeiter, der sich für diesen Hungerlohn verdingen muss. Sie können sich höchstens solidarisch erklären, Ihren Unmut lautstark artikulieren und die Politik auffordern, diesen verbrecherischen Machenschaften ein Ende zu setzen. Dazu ist dein Blogbeitrag ja schon mal ein Anfang! Beste Grüße! Ludger

  10. Ludger

    @alle,
    ganz herzlichen Dank für die vielen Kommentare. Ich kann leider nicht alle beantworten, aber ich merke schon, dass es ein großes Thema ist. Ich würde mir schon wünschen, wenn eine Aktion in der Branche daraus entstehen würde und etwas erreicht wird.

  11. Fleischportal

    Lieber Herr Freese, liebe Leser des Fleischerei-Fresse-Blogs,

    wir würden uns sehr darüber freuen, wenn Sie solche Themen auch in unserer neuen Community zur Diskussion veröffentlichen würden. Dabei hätten Sie die Möglichkeit, die gesamte Fleischbranche teilnehmen zu lassen. Unser neues Experten-Team freut sich jetzt schon auf Ihren Beitrag.

    Nutzen Sie dafür bitte den folgenden Link: http://www.fleischportal.de/forum/aktuelle-themen

    Wir wünschen Ihnen weiterhin viel Erfolg und verbleiben

    mit freundlichen Grüßen aus Wiesbaden,

    Ihr Fleischportal Team

  12. Claus Böbel

    Hier kann auch die gesamte Fleischbranche teilnehmen (so sie denn möchte)! Jeder hat Zugang zu diesem Blog und in der Branche ist der Blog “nicht ganz unbekannt”!!!
    Finde es toll, dass Kollege Freese in seinem Blog auch vor brisanten Themen nicht zurückschreckt und Stellung bezieht. Weiter so, Ludger.

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